Jahresveranstaltung 2021 – Rückblicke in Wort, Bild und Ton

Vom 26. – 29. August 2021 fand auf Hof Herrenberg im Brombachtal/Odenwald die zehnte Yogaweg Veranstaltung statt.

„DIE WELT DES ATEMS“ – unter diesem Motto beleuchtete Sriram die vielen Seiten der Atemlehre sowie das Pranayama im Yoga.

Hier ein persönlicher Bericht von Heike Augustinat aus Bremen:

Vom Liebesspiel des Atems

„Es geht nicht um die Überwindung von Zweien, die eigentlich Eins sind. Ohne Dualität ist alles
nichts. Es braucht beide Pole. Worum geht es dann? Es geht um eine Qualität, welche die Dualität
in Verbindung hält und diese nicht gegeneinander arbeiten lässt, sondern für- und miteinander und
komplementär ergänzend.“ So in etwa beendete Sriram auf dem diesjährigen Yogaweg Jahrestreffen seine Ausführungen zum Thema „Die Welt des Atems“.

Wow, welch berührende und tragende Worte. So berührend und tragend wie der Atem. Nicht,
dass ich nicht schon so einiges über den Atem gehört, gelesen, gelernt, geübt, erfahren,
unterrichtet hätte. Doch wie jedesmal, erwarten mich auch diesmal Gefühls-, Erfahrungs- und
Wissens-Geschenke. Srirams feinfühlige Art der Vermittlung subtilster Details, sein respekt- und
liebevoller Umgang mit dem Element Luft ließ mich dem Atem im universellen Kontext und meinen
eigenen Winden wie bei einem Software-Update auf eine aktualisierte Art begegnen.

Was ist es denn nun konkret, dass beide Pole der Dualität in Verbindung hält und was hat das mit
dem Atem zu tun? Es ist die Liebe, spricht Sriram mit deutlich in seiner Stimme wahrnehmbarer
Hingabe. Und diese, die Liebe finden wir auch im Atemprozess. Während Ein- und Ausatem
symbolhaft für die beiden Pole stehen, sind die Pausen/Kumbhaka-Phasen das Symbol der die
Pole verbindenden Liebe. Über die Pausen gehen wir in ein Liebesspiel von Geben (Ausatmen)
und Empfangen (Einatmen). Wie Sriram beispielhaft erläutert: Genau wie man in einer
zwischenmenschlichen Beziehung erstmal Geber sein muss, um Liebe überhaupt zu empfangen,
ist es für das Üben mit dem Atem wichtig, zunächst fokussiert und vollständig auszuatmen, also
zu geben. Um nach einer Pause im Anschluß, in der das Band der Liebe (die Verbindung beider
PoleI) neu fokussiert und gehalten werden kann, mit unserem Sprachgebrauch beschrieben
„einzuatmen“. Tatsächlich fließt der Atem wie von selbst in uns hinein und wir können ihn
genußvoll empfangen. Wie bei einer zwischenmenschlichen Beziehung auch, erfordert der
Atemprozess, dass wir regelmäßig dafür sorgen, dass es gut läuft. Die Kumbhaka-Phase nach
dem Einatmen bietet die Chance, sich am Ende des Einatmens, also am Ende des Empfanges
des Wechselspiels zwischen Empfangen und Geben erneut gewahr zu werden, die Verbindung zu
halten. Um sich dann mit der nächsten beginnenden Ausatmung einzustimmen auf die erneute
Phase des Gebens. Begleiten wir den Atem mit Gefühl statt ihn mit Willenskraft zu steuern,
schaffen wir Raum für eine Qualität von Weite, Entfaltung und Leichtigkeit.

Von Fokussieren, Geben und Empfangen, von Hingabe und Weite erzählte uns als wunderbare
Ergänzung zum Thema auch Anjali in ihren Beiträgen zu Hanuman, dem Sohn des Windgottes
Vayu, welcher das Sinnbild für enorme Stärke und auch für Bhakti ist. So wie Hanuman der Bote
zwischen Rama und Sita ist, ist unser Atem der Bote zwischen Außen und Innen. Anjali erzählt
auch von der Wichtigkeit des Atems beim Tanzen. Auch hier läuft nichts ohne Fokussieren,
Verbinden und Hingabe.

Aber es geht bei diesem Treffen ja nicht nur ums Thema allein, sondern auch um das Sein in der
Gemeinschaft. Um Verbindung und darum, diese Verbindung zu nähren und zu halten. Ich bin
sehr froh, dass ich – leider nur, aber zum Glück zumindest per Zoom – dabei war. Wenn man so
will, gab es auch hier zwei Pole. Einer war aktiv life vor Ort dabei, der andere empfangend an den
Bildschirmen zu Hause. Zwei, die eigentlich Eins sind. Vernetzt via Internet. Verbunden durch die
Liebe. Gemeinsam berührt und getragen vom Thema Atem. Ich habe das jedenfalls über die
Entfernung hinweg so empfunden.

Heike Augustinat


Wertvolle Gedanken aus dem Jahrestreffen von Anita Gietl aus Kirchheim bei München:

Die Welt des Atems

Ahiṃsā / Gewaltlosigkeit als ein Beitrag zur Gesellschaft.

Wenn wir ahiṃsā tief in uns empfinden könnten, würden wir der eigenen Gier Grenzen setzen können. Ahiṃsā ist die Übung um hiṃsā / Gewalt zu reduzieren.
Kraft ist notwendig, aber nicht Gewalt. Alle Kraftakte, die nicht im Einklang mit dem Kosmos sind, sind hiṃsā / Gewalt.
In Bezug auf die Atmung sind wir gezwungen auf jede Gewalt zu verzichten. Atmung ist mehr als Physiologie. Der Atem muss Raum haben.

Drei wichtige Zentren sind für alle Menschen wichtig:
Bauch, Zwerchfell, Kehle.
In der richtigen Qualität sind sie wie ein Schutz.

Der Beckenbereich ist tragend für den Rumpf. Wir dürfen ihn nicht schwer werden lassen, sondern leicht, „gelüftet“. Auch im Alltag ist es wichtig, das Becken aufgerichtet zu halten.
Im Unterbauch müssen wir locker werden, Leichtigkeit spüren.
Der Bauch ist unser Zentrum. Wir brauchen eine gehobene, gelüftete, gestärkte Bauchdecke.
Wir müssen ihn halten können. Das hat nichts mit Muskelkraft zu tun.

Angst, Wut, Ärger ist wie ein Korsett. Wenn wir tief ausatmen, kommt der Druck raus. Wir brauchen eine Entledigung in der Tiefe. Das Korsett loszulassen ist die erste Übung, dann kann man anfangen die Bauchdecke zu halten. Der Bauch ist ein Sinnbild für Kraft. Wenn wir Kraft brauchen, müssen wir an den Bauch denken. Egal ob wir sitzen, reden, oder
Gartenarbeit machen. Immer ist der Bauch wichtig.

Am Zwerchfell müssen wir frei sein, nicht eng. Hier soll Ruhe und Entspanntheit sein.
Das Zwerchfell ist unser empfindlichster Punkt. Hier spricht der Atem mit uns. Diese Stelle müssen wir beschützen, auch im Alltag in jeder Position, am PC, bei der Gartenarbeit.

Die Kehle ist unser Aus- und Eingang. Dieser Bereich soll weit sein. Unreinheiten des Körpers können hier heraus kommen. Die Kehle ist wie ein Tor für Inspiration und wo wir in Kommunikation mit dem Außen sein können. Es ist der Ort, wo du deinen Platz im Kosmos findest. Durch Traumen kann sich der Bereich verengen. Dort brauchen wir Mut. Wenn du eingeengt bist im Raum, mach` das Tor auf.

Grundideen für eine langsame Atmung in der āsana-Praxis

Achtsamkeit für den Atem muss mit Respekt verbunden sein.
Der Wille muss sich dem Gefühl unterordnen.
Wenn du beim Atem bleibst, wird er ruhig. Der Geist muss konzentriert dabei bleiben.
Du hörst, spürst und bist mit den Gedanken dabei. Der erste und letzte Moment einer Atemphase ist wichtig. Nur durch das kunstvolle Beginnen und Beenden kannst du dafür sorgen, dass nichts verloren geht. Je mehr du beim Beginn oder am Ende einer Atemphase bist, umso achtsamer musst du sein. Wie wenn du Öl von einem Kanister in eine Flasche füllen möchtest. Wenn die Flasche voll wird, musst du kunstvoll beenden.

Behutsam die Übung beginnen und beenden. Damit bleiben wir in einer Haltung der Ergebenheit. Wir bitten den Atem in unsere Lunge, „nimm Platz“ und dann bittest du ihn zu gehen und bedankst dich. Das wird zu einer tiefen, spirituellen Haltung. Das ist eine Art von Opfergabe, ein Ritual und macht das Üben zu einer intensiven Praxis. So kann Heilung geschehen. Es ist prāṇa, der alles steuert.

Die Pausen müssen wir respektieren, denn da liegt unser menschliches Potenzial, z. B. einen Vorsatz zu stärken. Durch das „zur Kenntnis nehmen“ der Pausen können wir die Ruhe festigen.
Es geht darum in die Atemleere zu kommen, wo wir still werden können. Die entgiftende Wirkung kommt durch diese explizite Leere. Ohne eine gewisse Hingabe geht es nicht. Es muss Genuss sein. Ein Genuss, wo du in Verbindung mit etwas Höherem kommst. Nach dem Kraftakt muss eine Sekunde des Loslassens sein. Loslassen ist genießen und wegkommen vom Willen.

Der Atem ist ein Medium für Hingabe. Sich dem prāṇa hingeben bedeutet, dass du hörst, spürst, dem Atem vertraust. Du kostest jeden Teil einer Sekunde. Das braucht intensive Konzentration.

Wir streben nach Fülle. Wo bekommen wir sie? Nicht durch Essen, Alkohol oder laute Musik. Das Gefühl der Fülle bekommen wir nur durch langsames Einatmen. Wir nähren uns mit Luft, nicht nur mit Essen und Wasser.

Die Einatmung ist ein Geschenk, wo wir nichts zu tun brauchen. Dazu hat uns Birgit ein wunderschönes Bild gegeben: Das Mädchen aus dem Märchen „Sterntaler“. Es steht da und empfängt die Sterne, die auf sie herunterfallen.

Ausatmen = Geben
Einatmen = Empfangen
In dem Moment, in dem wir beginnen zu nehmen statt zu empfangen, ist die Sache zerstört.

Es geht darum, dass die Dualitäten miteinander verbunden bleiben. Die Einheit ist das, was die Dualitäten in Verbindung hält. Was kann die beiden Dualitäten verbinden? Es ist die Liebe. Im Atem sind es die Pausen. Wir müssen mit der Luft in eine liebevolle Beziehung kommen. Wir geben und empfangen. Liebe zu empfangen bedeutet Liebe zu geben. Das können wir alles über den Atem nachvollziehen.

Mir hat dieses Seminar wieder aufs Neue bewusst gemacht, wie wertvoll unser Atem ist. Die Beiträge von Anjali und langjährigen Yogaschülern von Sriram haben das Seminar bereichert und lebendig gemacht. Ich bin berührt, befreit und dankbar nach Hause gefahren.

Anita Gietl


Rezitation im Yogaweg Jahrestreffen 2021

Tatsächlich war gemeinsames Rezitieren wieder möglich!

R.Sriram
Jonas Blitz
R.Sriram und Teilnehmer in Call and Response

Eine Bildergalerie zum Seminar

Wir freuen uns auf das nächste Yogaweg Jahrestreffen!